Für ihre vorigen Alben In Water und On The Mo erhielt Eva Kruse viel Lob und Anerkennung. 2015 und 2017 wurde sie mit dem Jazz-Echo als beste Bassistin national ausgezeichnet. Im NDR (Jazz-Album der Woche) konstatierte Mauretta Heinzelmann: „Die Oboe im Jazz ist selten: Ein reiner Klang, der die Ohren öffnet und zweistimmig mit Saxofon in ganz neue Räume führt. […] Eva Kruse spielt ihre Stärken – die Poesie, den Groove und die Freiheit – gemeinsam mit ihren Bandmitgliedern in alle Richtungen noch weiter aus.“ Ralf Dombrowski bezeichnete Kruses Musik in der BR-Sendung All that Jazz als „stimmungsvoll und eigensinnig pointiert“, Norbert Krampf nannte sie im Journal Frankfurt „Kammerjazz mit Profil und Energie“.
Seitdem hat das Quintett um Eva Kruse bei Festivals (u.a. Elbjazz, JazzBaltica, Offbeat Basel, BMW-Jazz Award) und in allen namhaften Clubs das Publikum begeistert. Zwischenzeitlich war Kruse auch als Bassistin von Nils Landgren unterwegs, mit dem sie seit 2007 arbeitet. Mindestens ebenso vielen Menschen dürfte Kruse als Drittel der von ihr gegründeten Erfolgsband Trio [em] mit Michael Wollny und Eric Schaefer in Erinnerung geblieben sein, wo sie von 2002 bis 2013 als Tieftönerin und Komponistin aktiv war.
New Legend heißt das neue Werk, das Eva Kruse mit ihrem markanten Quintett im März 2020 im Svenska Grammofonstudion, Göteborg eingespielt hat. In den vergangenen fünf Jahren ist die Formation zu einem Organismus mit einer gemeinsamen, individuellen Klangsprache zusammengewachsen. Interaktionen klingen nun noch lebendiger, Klangfarben noch nuancierter, gezielte Reibungen feiner aufeinander abgestimmt. Das dichtere Zusammenspiel erzeugt ein stärkeres Live-Gefühl, gleichzeitig treten die Stärken der Persönlichkeiten klarer zutage.
Nicht allein wegen ihres Instruments nimmt Tjadina Wake-Walker eine besondere Stellung in der Band ein. Schon seit 2010, als sie von der komischen Oper Berlin als Solo-Oboistin engagiert wurde und deswegen von München in die Hauptstadt zog, spielen Kruse und Wake-Walker zusammen. Inzwischen erweitert die Virtuosin ihre klare, klassisch geprägte Tongebung subtil um klangliche Improvisationen, nähert sich also mit individuellem Ausdruck ein wenig dem zeitgenössischen Jazz. Ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern gehört Uwe Steinmetz, den Kruse für sein außergewöhnlich wandlungsfähiges Spiel schätzt. „Uwe hat profunde Kenntnisse der Jazzgeschichte und sich zudem intensiv mit indischer Klassik und Olivier Messiaen beschäftigt. Er verfügt über alle diese Farben, kann damit die Musik unglaublich bereichern und uns alle sehr inspirieren.“ Steinmetz' elegante Pirouetten auf Sopran- und Altsaxophon verschlingen sich bisweilen so eng mit der Oboe, dass die Instrumente kaum mehr auseinander zu halten sind. In anderen Passagen entwickelt der sensible Improvisator kraftvolle Steigerungen, kreiert durch unmittelbare Expressivität spannende Kontraste zu lyrischen Passagen.
Als Eva Kruse 2011 nach Schweden umzog, lernte sie recht bald Christian Jormin kennen, denn er wohnt nicht weit entfernt von ihrem Haus. Zunächst engagierte sie ihn als Drummer, 2015 übernahm er die frei gewordene Stelle am Klavier. Wie Steinmetz tritt auch Christian Jormin viel in Kirchen auf, beide wissen um die nachhaltige Wirkung ausgesuchter, gezielt gesetzter Noten. „Christian ist in der traditionellen und spirituellen Musik Skandinaviens verwurzelt, kennt sich mit Psalmen und Volksmelodien aus“, erzählt Kruse, „und er ist ein hervorragender Zuhörer.“ Kein Wunder, dass sein feinfühliges Spiel typisch nordländische Züge zeigt, die auch von langen dunklen Wintern und dünn besiedelten Landschaften geprägt sind. Seine Improvisations-Qualitäten sind exemplarisch in Epilog zu bewundern. Seit Jormins Wechsel an die Tasten sorgt Kruses langjähriger Vertrauter und Impulsgeber Eric Schaefer am Schlagzeug für klangvolle, energetische und groovende Akzente. „Ich kann mich darauf verlassen dass Eric weiß, was jeweils am besten passt“, erklärt Kruse, „unser Zusammenspiel formt den Sound.“ Die Bassistin und (mit Ausnahme des abschließenden I nådens år) alleinige Komponistin ist unverkennbar die Bandleaderin, sieht sich in dieser Rolle aber vor allem als Integrationsfigur.
Den Albumtitel, New Legend, versteht Eva Kruse als Synonym für neue Erzählungen, zu denen sie auch ihre Kompositionen zählt. Darüber hinaus denkt sie an neue Abschnitte im Leben, auf abstrakte Art auch an politische Zäsuren und gesellschaftliche Veränderungen. In ihren Stücken reflektiert und verarbeitet Kruse Ereignisse und Erlebnisse aus ihrem unmittelbaren Umfeld. So ist beispielsweise das Thema Fluchtbewegungen für sie ein ganz persönliches, denn sie beherbergte in ihrer Familie zwei jugendliche Afghanen, für die sie sich nach wie vor stark einsetzt. „Wenn man in 100 Jahren auf die heutige Zeit zurückschaut, betrachtet man vielleicht diese jungen Geflüchteten als die wahren Helden“, spekuliert Kruse.
Viele Kompositionen gehen dank hintergründig schöner Melodien und/oder mitreißender Grooves gut ins Ohr. Auffällig ist auch, wie die Musik immer wieder Räume öffnet – und natürlich die bemerkenswerte Spannweite des Albums. Diese wird zum Auftakt, wie in einer Art Ouvertüre, im Titelstück gebündelt. Es reicht von einem zarten Oboen-Intro über melodische Linien der Bläser, die von Eric Schaefers agilem Schlagzeug befeuert werden, zu Soli von Saxophon, Bass und Klavier, um schließlich in einem jubilierenden Finale zu kulminieren. Das folgende, luftige Passacaglia vermittelt durch lyrische Oboen- und Saxophon-Linien, mit dem Bogen gestrichene Bass-Noten und -Flageoletts sowie dem Verzicht auf klare Taktschläge tiefgründige Atmosphäre. Die von Eva Kruse generell geschätzte Zweistimmigkeit entfaltet sich hier besonders augenfällig. Små diamanter i ett vattenfall, zu Deutsch Kleine Diamanten in einem Wasserfall, klingt wieder etwas schwungvoller, auch wegen seines markanten 15/8-Klavierostinatos. „Der Gedanke hinter dem Stück ist, inmitten des allgegenwärtigen Getöses den Blick für die kleinen Dinge des Alltags zu bewahren und zu schärfen“, erklärt Kruse. Still On The Mo (Der Hahn ist tot) ist dagegen nicht nur wegen seines Titel das humorvollste Stück des Albums. „Das Fenster unseres Klavierzimmers zeigt auf den Hühnerhof, wo das Federvieh des Nachbarn lautstark sein Dasein verkündet“, lacht Kruse. „Ich war beim Schreiben zuweilen genervt von dem Gekrähe, deswegen darf Uwe hier am Ende des Stücks den sterbenden Hahn geben.“ Eine weitere überraschende Klangfarbe präsentiert Pendel, nämlich ein Harmonium. „Im Studio in Göteborg stehen viele alte Instrumente. Als ich bei meinem ersten Besuch dort diese Tramporgel entdeckte, habe ich danach mit ihrem Klang im Ohr das Stück geschrieben.“
Seitdem sie in jungen Jahren anfing Musik zu machen, hat sich Eva Kruse verschiedenen Stilistiken angenommen. Rund eine Dekade spielt sie viele Stücke von Bach auf dem Klavier, in dieser Zeit entwickelte sie ihr feines Gespür für Zweistimmigkeit. Als ein weiterer roter Faden zieht sich der Groove durch ihre jüngere Vergangenheit. „Ich mag sehr unterschiedliche Musik und schnelle Wechsel“, erklärt Eva Kruse die Vielfalt ihres neuen Repertoires. „Hinzu kommt, dass die Band aus fünf Persönlichkeiten besteht, die ihre jeweiligen musikalischen Welten ein- und zusammenbringen.“ Folgerichtig begeistert New Legend mit ausdrucksstarken Klangfarben und variablen Tempi, mal optimistischen, mal nachdenklichen Stimmungen. Schillernde Facetten, die zusammen ein stimmiges und eindrückliches Gesamtbild ergeben.
Besetzung: Eva Kruse (db, comp); Marie Gitman (oboe); Uwe Steinmetz (asax; ssax); Christian Jormin (p); Eric Schaefer (dr)
Website: https://evakruse.com
Foto: © Magnus Bergstrom
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